Vom Wasserfall zu agilen Prinzipien — Mehr davon!
Was war passiert? Ohne große öffentliche Wahrnehmung hatte sich die tradierte Arbeitsmethode des Wasserfall-Projektmanagements in der Verwaltung zugunsten agiler Prinzipien verändert. Das nenne ich eine Zeitenwende! Beim Projektmanagement nach dem Wasserfall-Prinzip werden verschiedenen Phasen nacheinander ausgerollt, bearbeitet und abgeschlossen. Bevor Phase 1 nicht erledigt ist, fängt die zweite Phase nicht an. Wenn Phase 1 sich verzögert, verschiebt sich auch Phase 2. Statt der Fortführung dieses Jahrzehnte lang praktizierten Verfahrens, das zudem die Basis der Ausbildung aller Verwaltungsangestellten ist, ergab sich zu Beginn der Pandemie ein Livebetrieb der Corona-Finanzierungshilfen, der manchmal mehr mit dem aus der Softwarebranche bekannten “minimal viable product” zu tun hatte, als mit der aus der Verwaltung gewohnten Verfahrensperfektion. Das Arbeiten auf Basis agiler Prinzipien bedeutet, dass man eine starke Kundenausrichtung hat, das man Anforderungen dieser Kunden sogar noch im laufenden Prozess willkommen heißt und vor allem in kleinen Iterationsschleifen, also Prozessgliedern mit sich wiederholenden Handlungen, agiert. Genau in diesen Schleifen sind die Rückmeldungen der Kunden, also unserer Unternehmen eingeflossen. Und mit der nächsten Schleife wurde die Beantragung oder Auszahlung der Hilfen verbessert. Man kann die Bedeutung dieser pragmatischen Vorgehensweise nicht überschätzen! Natürlich war der Rahmen so fordernd, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Und natürlich ist dies kein Plädoyer dafür, dass die Verwaltung sämtliche Verfahren auf agile Prinzipien umstellt. Aber in einer Zeit, in der immer mehr komplexe (und nicht mehr nur kausale) Fragestellungen und Herausforderungen auftreten, ist es wichtig eine Alternative zur Projektplanung nach dem Wasserfall-Prinzip zur Hand zu haben. Eine Alternative, in der die Verwaltungsmitarbeitenden erste Erfahrungen gesammelt haben und positive Rückmeldungen zu deren Einsatz brauchen. In dieser neuen Herangehensweise stecken große Chancen für Bürger und Unternehmen. Daher: Mehr davon! Und zwar immer dann, wenn es noch kein Wissen für das vorliegende Problem gibt. Wenn das Problem noch nie zuvor gelöst wurde. Dann kann es auch kein Rezept dafür geben. Denn für ein Rezept braucht man jemanden, der genau diese Situation erlebt, erfolgreich bewältigt hat und es dann in einem Rezept zum “Nachkochen” niedergeschrieben hat. Demnach funktioniert dann auch kein Wasserfall-Prinzip mit vordefinierten Prozessschritten. Denn dafür braucht man nämlich Wissen. Stattdessen braucht man eine Kultur, die kleine Fehler, besser Irrtümer, erlaubt, ein Umfeld, das mit einem zu Beginn nicht perfekten Prozess klar kommt, und eine Öffentlichkeit, die den Mut des “konstruktiven Voranirrens” wertschätzt. Ich weiß, wie ungewohnt dieser Prinzipienwechsel mit Blick auf die Verwaltung klingt. Und für viele Unternehmen ist das erst recht ungewohnt. Ich bin aber davon überzeugt, dass Situationen wie die Corona-Pandemie oder der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine uns mit einer gewissen Regelmäßigkeit herausfordern werden. Und für diese Fälle würde ich mich sehr freuen, wenn unsere Verwaltung mehrere Arbeitsprinzipien in der Anwendung erlernt hat und diese anlassbezogen einsetzen kann. So etwas wie ein duales Betriebssystem.